Aus Anlass des 20. Jahrestages des Mauerfalls habe ich ein paar Interviews mit Menschen, die in der DDR gelebt haben, vorbereitet. Es sind Leute, die ihre ganz persönlichen Meinungen für meinen Blog gegeben haben.
Die Wende ist ja ein Thema, das weiter diskutiert wird. Und ich freue mich, euch die Gedanken der Zeitzeugen zu bringen.
Ute und Bernd O., 2009.
Hier ein Interview mit Ute und Bernd O. Beide sind in Erfurt geboren. Sie ist 45 Jahre alt und Pflegehelferin. Er ist 54 Jahre alt und Kaufmann.
THE WALL MEMORIES – Was sind eure Erinnerungen an die DDR-Zeiten?
BERND – gut: Kindergarten und Schulhort, Zusammenspiel Elternhaus und Schule, Ferienspiele, Ferienlager, viele gesellschaftliche Veranstaltungen, Schulsport, Schul-Sport-Spartakiade, Weltfestspiele der Jugend in Berlin, Fußball im Verein ab dem 7. Lebensjahr bis zur Sportschule und DDR-Fußballschiedsrichter der 2.Liga, Ausbildung zum Ökonom für EDV im Fernstudium, u. a.
UTE – Gut: Schule, Freizeitbeschäftigung, Schulklassen bis zum 8.Schuljahr.
UTE und BERND – Schlecht: wenig Obst, viele Einschränkungen bei Reisen, viele Kontrollorgane, der Personalchef wußte fast alles Dienstliche und Private von der Familie, Diktieren einer Entscheidung, Autoanmeldung. Wollte man ein privates Ziel erreichen wurden Bedingungen gestellt (Parteizugehörigkeit).
TWM – Wo wart ihr am 9. November 1989? Was habt ihr mit eurer Familie gemacht? Habt ihr gefeiert? Was habt ihr gefühlt/gedacht über den Mauerfall? Habt ihr irgendwann bei einem Protest mitgemacht?
UTE und BERND – Wir waren zu Hause, da unser Kind erst 15 Monate alt war. Mit einem komischen Gefühl haben wir sie alle feiern gesehen und gedacht, ob das nicht mal gut geht !? (…) Wir sind nur einmal in einem Schweigemarsch hineingekommen, etwas mitgelaufen. Es war eine gespannte Stimmung, die hätte jeden Moment umschlagen können. Mit Frau und Kinderwagen war es ein Risiko.
TWM – Gab es irgendwie Schwierigkeiten euch an das “neue Land” zu gewöhnen?
UTE und BERND – Das ständige Umdenken mit der Währung, der Situationen im Betrieb, Wohnung, Arbeit, Freizeit, Einkauf und die ständige Ungewissheit, ob es der Familie weiterhin so gut geht, machte schon einen gewissen Streß. Man mußte sehr schnell die Dinge selber in die Hand nehmen und regeln. Wir können sagen, dass wir es beide schnell geschafft haben, in anderen Betrieben eine neue Arbeit zu erlangen. Das selbständige Bewegen in der Gesellschaft, ob Sozialismus oder Kapitalismus, fiel uns nicht schwer.
TWM – Gibt es etwas von damals, dass ihr vermisst?
UTE und BERND – Ja, wir vermissen das gesellschaftliche Zusammenleben mit Freunden und Bekannten. Jetzt sind alle zu Egoisten erzogen und werden gezwungen auch so zu handeln. Der Staat DDR hat sich da mehr Gedanken um die Gesellschaft gemacht.
TWM – 20 Jahre nach dem Mauerfall. Was denkt ihr über die Wende?
UTE und BERND – Das System Sozialismus/Kommunismus gleicht doch irgendwie dem Kapitalismus. Die Politik ist identisch; der kleine Mann wird ausgebeutet und unterdrückt. Auch findet eine kontrollierende Freiheit statt. Die Wende hat die Reisefreiheit gebracht, aber nur, wenn Du finanzielle Mittel hast. Die Armut und die Arbeitslosigkeit steigt ständig.
Dem Staat interessiert nur die eigene finanzielle Sicherheit, weniger die Einzelpersonen in der Gesellschaft. Der heutige Staat hat keine klaren, eindeutigen Gesetze, sondern nur solche, die er drehen und wenden kann, damit er immer im Vorteil bleibt.
Museumsbaracke "Olle DDR"
TWM – Was denkst du über die “Ostalgie” von heutzutage?
BERND – Ich fördere die Ostalgie. Meine sämtlichen besonderen Gegenstände der damaligen DDR befinden sich in einem Museum in Auerstedt bei Bad Sulza. Dort befinden sich Urkunden von persönlichen Auszeichnungen, Sport-Wimpel, ein alter Fotoapparat, Telefon, Radio, Wasserkocher, Kühlschrank, Komode, Schreibwaren und vieles mehr.
TWM – Was sind aus eurer Sicht die grössten Unterschiede zwischen Ost und Westdeutschland, die noch lebendig sind? Wie kann man das ändern?
UTE und BERND – Ein West-Mensch wird niemals aufhören westlich zu denken. Ein Ost-Mensch denkt aber schon Gesamt-Deutsch, da er zum größten Teil für eine westliche Firma arbeitet und in Ost-Deutschland weiter wohnt. Ein West-Mensch kann die Gesellschaft der DDR nicht verstehen, da er nie darüber die Wahrheit erfahren hat. Ich sage mal, sie kannten die DDR nur aus der BILD-Zeitung !!! (…)
Das Allgemein-Wissen eines Ost-Deutschen ist besser, da die schulische Ausbildung sehr gut war. Die Schieflage kann eigentlich nur der Staat selber in Ordnung bringen, in dem er gesamtdeutsche Aussagen macht und nicht immer wieder durch Gesetze Ost-West Unterschiede beschreibt.
Bei der Lohnzahlung wird in vielen Bereichen noch unterschiedlicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt. Es wird immer ein Ost-Mensch und ein OST-Deutschland für den WESTEN geben, da sie sich immer als Sieger und Geldgeber darstellen.
TWM – Gibt es eine persönliche Geschichte in der DDR, die du damals erfahren hast und mit uns teilen kannst?
BERND – In meiner Akte war eine Kopie eines Briefes an meinen Freund, der vor 1989 die DDR auf illegale Weise verlassen hatte.
Damals kamen Angehörige der Staatssicherheit und stellten mir Fragen über die Flucht meines Freundes aus der DDR. Er mußte damals für mehrere Monate ins Gefängnis bis der Ausreiseantrag gestellt war. Als er in der BRD angekommen war, schrieb er mir in einem Brief, wo er sich befindet und was er jetzt macht. Dieser Brief wurde von der Staatssicherheit kopiert und in meine Akte gelegt. Wir treffen uns jetzt alle zwei Jahre und reden über alte Zeiten.